Eine Handvoll Handreichungen für die erste juristische Klausur Ihres Lebens

Ein Beitrag von Professor Dr. Roland Schimmel, Frankfurt am Main

 

Wer das Abitur hinter sich gebracht hat, könnte annehmen, mit Klausuren einigermaßen vertraut zu sein. Stimmt zur Hälfte. Im Jurastudium schreibt man eine ziemlich spezielle Form von Klausuren. Es gilt - von seltenen Ausnahmen abgesehen - einen erfundenen Problemsachverhalt rechtlich zu beurteilen. Das soll in einer spezifischen Darstellungsform geschehen, genannt der Gutachtenstil. Erfahrungsgemäß fällt das nicht allen Kandidaten gleich leicht. Manchen leuchtet das alles auf Anhieb ein, die meisten müssen üben. Stolpern. Fallen. Aufstehen. Staub abklopfen. Repeat.

Aber nicht jeder muss zwingend jeden Anfängerfehler selbst machen. Auch wenn Ihr Puls in der ersten Klausur des Studiums etwas höher schlägt - achten Sie auf Folgendes:

1. Die gestellte Frage beantworten - und sonst keine.

Das geht nicht nur in Anfängerarbeiten schief, sondern passiert auch Fortgeschrittenen immer mal wieder. Folgenreich. Meist bekommen Sie in einer zweistündigen Anfängerklausur nicht das gefürchtet-vieldeutige Wie ist die Rechtslage? zugemutet, sondern sind mit einer recht spezifischen Frage des Typs Kann A von B Rückzahlung des bereits geleisteten Kaufpreisteils verlangen? konfrontiert. Von dort führt ein recht kurzer Weg zur Formulierung einer ersten Überschrift wie Anspruch des A gegen B auf Rückzahlung der € 25,- nach § 812 I 1 Fall 1 BGB. Und mit einer solchen Überschrift, die dem Schema Wer will was von wem auf welcher Anspruchsgrundlage? folgt, sammeln Sie bereits die ersten Punkte ein.

Sie sollen sich aber nun nicht zusätzliche Fragen und Probleme einfallen lassen - und keinesfalls dürfen Sie die Frage, auf die Sie sich vorbereitet haben, an die Stelle der Frage setzen, die Ihr Prüfer gestellt hat. Das mag in der Schule manchmal noch funktioniert haben. Jetzt nicht mehr. Ihr Mandant zahlt das erkleckliche Honorar, das Sie verlangen, nicht für die Beantwortung irgendeiner Frage, mit der Sie sich gerade gut auskennen. Er zahlt - wenn er zahlt - für die Lösung seines Problems.

Wenn Sie also vor der Klausur noch so sehr Vertragserfüllungsansprüche gelernt haben, müssen Sie trotzdem umdenken, wenn die Prüfung nach Rückabwicklungsansprüchen fragt. Wer jetzt stur einen Restkaufpreiszahlungsanspruch nach § 433 II BGB erörtert, erntet in der Regel keine Mitleidspunkte, sondern leises Hohngelächter. Und das ist richtig so. In dieser Hinsicht muss das Jurastudium Sie erziehen. Auf lange Sicht gelingt das, auf kurze nicht immer. Kleiner Trost: Ihr Wissen über wirksame Kaufverträge wird ja nicht wertlos; es wird beim Rückzahlungsanspruch aus § 812 I 1 Fall 1 BGB nur eben an anderer Stelle gebraucht, nämlich bei der Frage nach der Rechtsgrundlosigkeit der erbrachten Zahlungsleistung.

 

2. Gutachtenstil vorführen.

Es ist eine Anfängerklausur. Also dient sie nicht nur dem Zweck, ein halbwegs festgelegtes materiellrechtliches Wissen abzuprüfen. Sie soll vielmehr feststellen, ob Sie sich einigermaßen an den Gutachtenstil gewöhnt haben. Deswegen müssen Sie mindestens bei den Schwerpunkten streng nach Schema vorgehen: einen Obersatz als Hypothese formulieren, das jeweilige Element des Normtatbestands definieren, den betreffenden Ausschnitt des Sachverhalts wertend dieser Definition unterordnen, ein positives oder negatives Ergebnis festhalten. Bei unproblematischen Elementen wirkt das eher albern: Das Fahrrad des B könnte eine Sache sein. Sachen sind nach § 90 BGB körperliche Gegenstände. Das Fahrrad … Meist reicht hier auch die eng bemessene Zeit nicht für schulmäßige Subsumtionen. Sie lassen das betreffende Merkmal dann aber nicht einfach unerwähnt und hauen auch keine begründungslose Behauptung raus: Das Fahrrad ist eine Sache im Sinne des § 985 BGB. Besser simulieren Sie eine Subsumtion in möglichst gedrängter Form. Beispielsweise können Sie das unproblematische Tatbestandsmerkmal beiläufig an anderer Stelle abarbeiten: A muss hier für Besitz an dem Fahrrad - einem körperlichen Gegenstand und damit einer Sache im Sinne des § 90 BGB - haben; das bestimmt sich nach § 854 I BGB.

Aber bedenken Sie: Ihr Prüfer möchte Ihnen gern Punkte auf guten Gutachtenstil geben. Hindern Sie ihn nicht daran!

 

3. Rechtzeitig anfangen.

Irgendwann müssen Sie anfangen, die Reinschrift zu verfassen. Etwa auf einem Drittel der zur Verfügung stehenden Zeit. Bis dahin dürfen Sie sich zurücklehnen, nachdenken, die Aufgabe gründlich mehrfach lesen und - am wichtigsten - eine Lösungsskizze anfertigen. Die wird zwar regelmäßig nicht mit abgegeben und nicht benotet, hilft Ihnen aber, in halbwegs kurzer Zeit eine sinnvolle Gliederung zu finden. Die zu erörternden Ansprüche, Strafnormen, Ermächtigungsnormen müssen in eine Reihenfolge gebracht werden. Und zu jedem einzelnen Tatbestandsmerkmal müssen Sie entscheiden, ob es erfüllt ist oder nicht. Wenn es sich als problematisch erweist, müssen Sie auslegen und argumentieren. Wer das alles stichworthaft zu Papier bringt, entwickelt dabei zugleich eine Vorstellung von den Schwerpunkten der Aufgabe. Auf diese verwendet man in der Reinschrift auch den meisten Text, denn da holt man die Punkte.

 

4. Mit der Zeit haushalten.

Wer rechtzeitig zu schreiben beginnt, hat gute Chancen, rechtzeitig fertig zu werden. Das müssen Sie aber auch, denn nach 120 Minuten fällt der Hammer. (Man kann durchaus fragen, ob das ein sinnvolles Prüfungsformat ist - aber einstweilen ist klar: Das sind die Regeln, nach denen Sie für die nächsten Jahre werden spielen müssen.) Erstaunlich oft stellt sich später heraus, dass das Zeitmanagement nicht gut war. Bei der Einsichtnahme stellen Sie fest, dass Sie weniger geschrieben haben, als Sie in Erinnerung hatten. Der Prüfer kann aber nur bewerten, was Sie auch zu Papier bringen. Wenn es nicht gut war, machen Sie es beim nächsten Mal besser. Die meisten Menschen sind nicht von Anfang an brillant im Verfassen juristischer Gutachten unter Zeitdruck, sondern werden es erst über die Zeit hinweg. Im Allgemeinen werden Sie die volle zur Verfügung stehende Zeit brauchen. Wenn Sie weit vorher fertig sind, haben Sie vermutlich ein Problem übersehen. Nicht sofort abgeben, sondern durchatmen, zurücklehnen, neu nachdenken.

 

5. Lernen aus Fehlern.

Die erste Klausur kann auch mal gründlich schiefgehen. DAS BEDEUTET GAR NICHTS. Dann schreibt man sie eben bei nächster Gelegenheit noch einmal. Einsicht nehmen, am Besprechungstermin teilnehmen, möglichst individuelle Rückmeldung vom Korrektor oder aus der Klausurenklinik mitnehmen. Ursächlich (von Schuld ist gar keine Rede) für einen Misserfolg ist nicht der doofe Prüfer, sondern man selbst. Misserfolge sind Lernchancen - und zum Lernen sind Sie schließlich angetreten.

Wer diese Empfehlungen beachtet, hat deshalb noch lange nicht den Prüfungserfolg in der Tasche. Den holt man nämlich im Wesentlichen durch solide Vorbereitung und anständiges inhaltliches Wissen. Aber ein paar sehr anfängertypische Frustrationen ersparen Sie sich allemal.

 

Der Autor

Dr. Roland Schimmel

ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht und Bürgerliches Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences

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