WEG-Reform: „Kein Stein bleibt auf dem anderen“ – Interview mit Wolfgang Dötsch

Die Fundamentalreform des WEG steht an. Auf die Branche kommen gewaltige Veränderungen zu, die bereits in wenigen Wochen in Kraft treten. Wolfgang Dötsch, Richter am Oberlandesgericht Köln und C.H.BECK-Autor, erklärt, worauf es jetzt ankommt.

 

Die WEG-Reform tritt zum 1.12.2020 in Kraft. Was müssen Verwalterinnen und Verwalter nun als Erstes tun?

Wolfgang Dötsch: Ruhe ist die erste Bürger-, aber auch Verwalterpflicht. Das neue Recht enthält in § 48 WEG nur teilweise echte Übergangsregelungen, so dass vieles aus dem neuen WEG quasi "sofort" zu beachten sein wird. Daher ist es wichtig, sich erst einmal mit den neuen Regelungen vertraut zu machen. Das schlanke und gut lesbare Gesetz – in einer Zeit immer länger werdender Gesetze eine wirklich lobenswerte Ausnahme – ist die erste Pflichtlektüre. Im Übrigen erscheinen viele Bücher und mit dem Hügel/Elzer auch der erste Praktikerkommentar.

 

Was ist besonders zu beachten?

Dötsch: Dass sprichwörtlich kein Stein auf dem anderen bleibt und die Vielzahl grundlegender Paradigmenwechsel es erfordern wird, dass fast nichts aus dem alten Recht wirklich übernommen werden kann. Das muss einen aber nicht erschrecken, weil vieles – etwa im Bereich der Jahresabrechnung – auch einfacher werden wird, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat.

 

Wo gibt es konkreten Handlungsbedarf?

Dötsch: Handlungsbedarf sehe ich neben dem dringend gebotenen Eindenken in das neue Recht vor allem mit Blick auf die Themen, die die Eigentümer bald an die Verwalter herantragen werden.

 

Was werden das für Themen sein?

Dötsch: Nach den ersten Tagungen zum neuen Recht zeigt sich etwa, dass im Bereich der Errichtung von Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge offenbar gewaltiger Nachholbedarf in der Praxis schlummert. Zum Regierungsentwurf – der sich insofern nur in § 21 Abs. 2 WEG geändert hat – kann ich auf Dötsch ZWE 2020, 215 als Handreichung und Ideengeber verweisen. Auch hier muss der Verwalter aber die Nerven behalten und sollte sich nicht zu Schnellschüssen verleiten lassen.

Das fein austarierte neue System der Kosten- und Nutzenverteilung wird auch sicher bald weitergehende Verwalterpflichten mit sich bringen. Darüber hinaus werden bei einer Beschlussfassung über bauliche Veränderungen immer Beschlüsse - zur Not deklaratorische - nach § 21 Abs. 5 WEG für Rechtssicherheit und - klarheit zu sorgen. Das gilt auch mit Blick auf die neuen Zustimmungsquoren aus § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG. Hier ist eine gute Organisation und Dokumentation gefragt.

 

Wo drohen rechtliche Auseinandersetzungen?

Dötsch: Rechtliche Auseinandersetzungen drohen natürlich immer, doch macht das neue Verfahrensrecht in den §§ 43 ff. WEG wenigstens Beschlussmängelklagen deutlich einfacher. Im Übrigen wird sich die Rolle von Verwalter, Beiratsvorsitzendem und Gemeinschaft in der ganz neuen Binnenstruktur der WEG sicher in den ersten Jahren noch einpendeln müssen. Wichtige Fragen wie etwa die nach Direktansprüchen der Eigentümer gegen den Verwalter sind in dem dort recht schnell durchgezogenen Gesetzgebungsverfahren nicht immer ganz so klar beantwortet worden, wie man es sich wünschen könnte. Die Vielzahl unbestimmter neuer Rechtsbegriffe und Regelungen bedarf oft der gerichtlichen Ausgestaltung und Fallgruppenbildung. Wenn man überlegt, dass fast 15 Jahre nach der WEG-Reform 2007 immer noch wichtige Fragen nicht höchstrichterlich geklärt werden konnten, bringt die Reform – wie aber jede strukturelle Reform – für die Praxis auch neue Unwägbarkeiten. Das wird es erforderlich machen, in den nächsten Monaten sorgfältig die Instanzrechtsprechung zu studieren und sich herausbildende Probleme frühzeitig zu erkennen.

 

Welche neuen Herausforderungen zeichnen sich ebenfalls bereits ab?

Dötsch:  Im Zusammenspiel mit den Wohnungseigentümern wird sich der Verwalter auch an die neue Überwachungsfunktion des – soweit vorhanden – Verwaltungsbeirats in § 29 Abs. 2 WEG gewöhnen müssen. Ein echter Aufsichtsrat wie im Aktiengesetz kann und wird der Beirat aber wohl nicht werden. Mit der Vertretungsmacht des Vorsitzenden aus § 9b Abs. 2 WEG stellen sich aber viele Fragen, auf die die Praxis erst einmal eine Antwort entwickeln muss. Weisungen und Ähnliches wird der Beirat richtigerweise aber nicht erteilen können. 

 

Stichwort Vermögensbericht: Erwarten Sie hier für Verwalterinnen und Verwalter einen großen zusätzlichen Arbeitsaufwand? Gibt es schon Muster?

Dötsch: Der Vermögensbericht – § 28 Abs. 4 WEG – wird voraussichtlich wenig zusätzlichen Aufwand machen, weil viele erforderlichen Angaben bisher bereits für die Jahresabrechnung vorzuhalten waren. Es darf auch nicht verkannt werden, dass es nur um ein "Stück Papier" zu Informationszwecken mit gewissen Rechnungslegungsfunktionen geht, aber die Angaben dort regelmäßig mangels Ergebnisrelevanz keine Auswirkung auf die "kupierte" Beschlussfassungen nach § 28 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1  WEG über die Zahlungspflichten der Wohnungseigentümer haben werden. Dennoch darf die neue Pflicht nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

 

Warum nicht?

Dötsch: Weil es etwa zu Leistungsklagen auf Ergänzung und zu Problemen bei der Verwalterentlastung kommen kann. Es sind auch einige organisatorische Vorarbeiten geboten, weil man einige Angaben bisher nicht für die Jahresabrechnung benötigt hat, etwa einen vollständigen Status von Verbindlichkeiten, was etwa auch im Vorjahr bereits umgelegte Kosten für die Reparatur des gemeinschaftlichen Eigentums meinen kann, bei der ein Regressanspruch gegen den Schädiger noch zu verfolgen sein wird. Hier kann der Vermögensbericht auch ordnende Funktion als "Merkpostenliste" entfalten. Wohin die Reise gehen wird, wird sich zeigen. Mangels Übergangsregelung wird der erste Vermögensbericht zum Stichtag 31.12.2020 zu erstellen sein. Es dürfte reichen, wenn er mit der Jahresabrechnung 2020 bis Mitte 2021 vorgelegt wird. Ein vorsichtiges erstes Muster wird sich im Buch Dötsch/Schultzky/Zschieschack – WEG-Recht 2021 in Kapitel 10 finden.

 

Zum Autor

Wolfgang Dötsch ist Richter am OLG Köln. Seine Interessenschwer­punkte liegen im Miet- und Wohnungseigentumsrecht, aber auch im Versicherungs-, Verfahrens- und allgemeinen Zivil­recht. Er publiziert seit 2001 fortlaufend in Fachzeitschriften und Fachbüchern. Daneben ist Herr Dötsch in der Richter-, Verwalter-, Beirats- und Anwaltsfortbildung tätig. Langjährige Tätigkeiten in verschiedenen Berufungszivilkammern bzw. -senaten haben sein Auge für prozessuale Fragestellungen und praktische Umsetzungsprobleme besonders geschärft.

 

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