Wenn man alten Fotografien glauben darf, dann war Susi Wyss (geb. 1938) ein Engel in Satin, aber der Blick aus ihren dunkel umrandeten Augen erzählt eine andere Geschichte. Susis reich illustrierte Memoiren, Guess Who Is the Happiest Girl in Town, sind der Stoff, aus dem andernorts die Träume sind. Nach dem Besuch der Zürcher Modeschule lernt Susi in Saint-Tropez ein aristokratisches Paar kennen, das sie in die Welt des europäischen Jet-Sets einführte. Mag sein, dass der ganze Rummel um das «süsse Leben» irgendwann abgeschmackt wirkt, aber einst war es so aufregend und empörend, wie Susi sich darin bewegte, dass KünstlerInnen wie die Schweizerin Manon mit ihr zusammenarbeiteten oder Fotografen wie June (alias Alice Springs) und Helmut Newton sie in Büchern und Magazinen als sexuell befreite, feministische Vorkämpferin verewigten. In ihre Wohnung lud sie zu extravaganten Dinnerpartys, an denen Tout-Paris verkehrte. Neben vorzüglichem Essen standen auch «Haschisch, LSD, Meskalin, Kokain, Liebe zu dritt, Sado-Maso und Massagen im kleinen Pool auf der Dachterrasse auf dem Menu», so Susi. Zu ihren Freundinnen und Freunden gehörten damals Paul Getty, Baron Eric de Rothschild, Kenneth Anger, Iggy Pop, der Beatnik Brion Gysin, Dennis Hopper oder der Modeillustrator Antonio Lopez. Erst mit Mitte dreissig machte Susi Wyss ihren Lebensstil auch zu Geld und arbeitete als Call-Girl, zu deren illustrem Kundenkreis Grössen aus Politik, Wirtschaft und Kunst gehörten. Schon nach kurzer Zeit war sie mit dem Befriedigen der Nachfrage überfordert und rekrutierte weitere schöne Mädchen. Im Nu war Susi eine weltweit bekannte «Madame» geworden. In Guess Who Is the Happiest Girl in Town eröffnet sich dann auch die gleichsam dunklere Seite ein und derselben Medaille: der Verlust der Jugend, Todesfälle und der Zeitpunkt, ab dem Drogen und Alkohol nicht mehr nur Spass machten. Mit vierzig beendete sie schliesslich ihre Call-Girl- Karriere und begann mit einem Bericht über ihr Leben. «Wenn Xaviera Hollander [ein niederländisches Ex- Pornostarlet, ...] ein Sexbuch schreiben konnte, warum nicht auch ich?» So verhält es sich auch mit Susis sinnlich slapstikhaften Erzählungen: Wenn sie einen nicht direkt ins Herz treffen, dann viel tiefer, unter die Gürtellinie.