Produktbeschreibung
MUSÄUS schreibt 1838 in den „Volksmährchen der Deutschen“ einen wichtigen Satz: Hieroglyphen, die der Unkundige für Spielwerk und Tändelei erklärt, die aber bestimmten Sinn und Deutsamkeit so gut haben als Buchstaben und Wörter in der gemeinen Sprache, sind eine Art Sprache.1 Wer nur oberflächliches Interesse an der geheimnisvollen Bedeutung der Hieroglyphen und nicht auch ihrer Sprache hat, der sollte folgendes beherzigen. Laßt das Lernen der Hieroglyphen sein! Es lohnt sich nicht: Die ägyptische Sprache ist also verglichen mit den klassischen Sprachen, aber auch auch mit dem Arabischen, Germanischen und anderen, ein recht unvollkommenes Instrument. Das so komplizierte System der ägyptischen Schrift, die Hieroglyphen, versagt in einem äußerst wichtigen Punkte: Die Schrift gibt die Vokale nicht wieder. Das heißt mit anderen Worten: Der Klang der ägyptischen Sprache ist für unser Ohr verstummt. Man denke nur, das Nibelungenlied sei uns ohne Vokale überliefert, und wir müßten sie aus der heutigen Sprache erschließen und einsetzen.Diese leidige Erfahrung macht man z.B. immer, wenn man versucht, ägyptische Verse vor seinem Ohr erklingen zu lassen. Besser läßt sich der grammatische Bau der Sprache erkennen. Und da tritt dem an europäische Sprachen Gewöhnten sogleich eine wichtige Tatsache entgegen: Ägyptisch ist die Sprache der Aushilfen. Was das heißt, soll sogleich deutlich werden. Bei den klassischen Sprachen, aber auch im Altarabischen, tritt vor allem der ungeheuere Reichtum des Verbums hervor. Nichts davon im Altägyp-tischen.Das Verbum ist bereits in der ältesten, erkennbaren Stufe aufs stärkste zersetzt. Ersatz für die fehlenden Verbalformen bieten zahlreiche Hilfswörter, in der letzten, christlichen Epoche des Ägyptischen sind es mehr als 20.2 Mit seinen Hilfswörtern weiß der Ägypter vieles auszudrücken, wieviel, lernen wir erst allmählich kennen, aber die Fülle der Möglichkeiten, die z.B. das Griechische hat, ist ihm versagt. Ebenso hat er nicht die unbeschränkte Fähigkeit, neue Worte zu bilden, über die der Inder, Grieche und Deutsche verfügt.Man wird nicht so bald zu Ende kommen, wenn man alle Ableitungen [einzelner] Wörter zusammenstellen will. Der Ägypter muß sich demgegenüber bescheiden. Dazu gesellt sich eine zweiter sehr empfindlicher Mangel. Die Fähigkeit, neue Worte zu bilden, ist äußerst beschränkt. Wörter zusamensetzen wie der Grieche, der Inder, der Germane kann der Ägypter vollends nicht. Das muß man sich gegenwärtig halten, wenn man zu einer gerechten Beurteilung des ägyptischen Schrifttums gelangen will.3 Zu einer „Beurteilung des Schrifttums“ vielleicht - aber ist die auch gerecht?
Fast alles freilich, was PIEPER hier bemängelt, ist schlecht beobachtet oder grob verallgemeinert, und darum falsch.4 Nur eines stimmt mit Gewißheit:
1 Musäus, J. A. Volksmährchen der Deutschen. Bd 4. Halle 1939, 99 2 folgt ein Exkurs über bayerischen und österreichischen Dialekt, wo „man schreiben tut, am Lesen ist oder verstehen geht“ 3 Pieper, Max. Die ägyptische Literatur. Wildpark-Potsdam (1927), 4 - 5 4 so stimmt z.B. weder die Tatsache der Wortarmut (im WB sind reichlich 450 000 Wörter verzeichnet) noch das Fehlen von Wortzusammensetzungen, wie Pharao („Groses Haus“) und Ägypten („Tempel (des) Ka (des) Gottes Ptah“) oder die ägyptische Bezeichnung „Gottesworte“ für Hieroglyphen belegen.