Wer "Das Kapital" lesen will, stößt auf eine Überfülle von Schwierigkeiten. Ja, man darf sagen, für den Laien ist es überhaupt unlesbar. Da ist zunächst der gewaltige Umfang. Nicht weniger als 2.200 große Druckseiten füllen die drei Bände des Werks. Wer kann die lesen, wenn er nicht ein Spezialstudium daraus machen, sondern daneben auch noch seine Berufsgeschäfte erledigen will! Dazu kommt eine ungemein schwer verständliche Ausdrucksweise. Es ist ein tiefes Eindringen, eine große geistige Anstrengung, eine liebevolle Versenkung in das Werk und nicht zuletzt auch eine recht umfassende nationalökonomische Fachbildung erforderlich, um seine Ausdrucksweise überhaupt zu verstehen. Und dann kommt noch die dritte und größte Schwierigkeit. Marx' Werk ist vom ersten bis zum letzten Buchstaben aus einem Guß; die verschiedenen Teile seiner Lehre gehören dermaßen innig zueinander, daß kein Teil ohne Kenntnis der anderen richtig verstanden werden kann. Wer sich daran macht, die ersten Kapitel zu lesen, kann natürlich noch nicht wissen, was die späteren bringen, und muß demzufolge ein falsches Bild von der Lehre gewinnen, so lange bis er alle drei Bände zu Ende studiert hat.
Mein Bestreben mußte es sein, soviel wie nur irgend möglich Marx' eigene Worte stehen zu lassen und meine Tätigkeit auf das Auslassen und Umstellen zu beschränken. Vieles von dem, was im dritten Bande steht, mußte ganz an den Anfang gesetzt werden. Auch sonst mußte ich vielfach Abhandlungen, die über verschiedene, oft weit voneinander entlegene Kapitel verteilt sind, zusammenbringen, andere umgekehrt voneinander entfernen und dabei natürlich des öfteren Verbindungssätze schreiben, während im großen und ganzen stets der Wortlaut, wie er von Marx selbst herrührt, stehengeblieben ist. [...] Es mußte eine Auswahl getroffen werden derart, daß der Leser den ganzen grundlegenden Gedankengang mit Marx' eigenen Worten kennenlernt, ohne doch durch zu großen Umfang des Werks abgeschreckt oder übermüdet zu werden.
Julian Borchardt, August 1919
Vorwort zum ersten Auflage der "Gemeinverständlichen Ausgabe"