Viele Romane handeln in Berlin, keiner hat so sehr die Metropole selbst zum Gegenstand wie Paul Gurks Berlin, der erste bedeutende Großstadtroman der deutschen Moderne, entstanden 1923 bis 1925.
Ein Jahr - das letzte - im Leben des fliegenden Buchhändlers Eckenpenn, Monat um Monat, im Wandel der Witterungen und Wolkenformationen, inmitten der unendlichen Großstadt. Um ihn - den nachdenklichen Zaungast des Fortschritts, den Menschenfischer mit Büchern inmitten der Massen, den im rasenden Tempo auf der Strecke Gebliebenen - zuckt, in Rausch und Arbeit, die Stadt. Sein Berlin: eine Stadt voller »Leben, Wille, Welle, Rhythmus, Amoral«, doch »seelenlos, ohne Gedächtnis, ohne Mitleid, ohne Reue, ohne Selbstpeinigung, ohne Heilige - und daher ohne Sünde«; eine Landschaft mit Fabrikbergen und Schornsteinwipfeln, mit Fensterscheibenwiesen in den Farben der Tage und Nächte; ein Organismus aus Elektrizität, Fleisch, Stein und Asphalt, der Mensch und Land auffrißt und zu Technik verdaut.
Als scheinbar lakonischer Beobachter erlebt Eckenpenn eine Gesellschaft, die neuen Katastrophen entgegentaumelt: die Phrasen der Politik, die Gewissenlosigkeit der Wirtschaft, die Verelendung der kleinen Leute, die »Gewalt der Straße«, den explodierenden Verkehr, eine hohle Unterhaltungsindustrie, den Literaturbetrieb als Jahrmarkt der Eitelkeiten - teils visionäre Vorwegnahmen, späteren Filmen wie Berlin - Die Sinfonie der Großstadt , Dr. Mabuse oder Metropolis verwandt.
Herbert Günther stellte in seiner Anthologie Hier schreibt Berlin (1929) Auszüge aus den Romanen von Alfred Döblin und Paul Gurk nebeneinander vor. Berlin Alexanderplatz wurde zum bald verfilmten Bestseller, während Gurks Berlin erst 1934 erschien und im NS-Kulturbetrieb kein Echo haben konnte. Auch die einzige, allerdings fehlerbehaftete Neuedition (1980) brachte ihrem Autor nicht den ihm gebührenden Platz ein.