Was unterscheidet den Verkauf vom Austausch von Gaben? Warum muß man eine Gabe annehmen, und warum muß man danach etwas zurückgeben? Scheinbar einfache Fragen. Aber wer sie beantwortet, ermöglicht einen Blick auf das, was eine Gesellschaft konstituiert. Wer zeigen kann, welche Funktion die Gabe für eine Gesellschaft hat, gewinnt – das haben Ethnologen wie Marcel Mauss und Claude Levi-Strauss eindrucksvoll gezeigt – tiefe Einblicke in ihre Struktur. Maurice Godelier entwirft in diesem Buch eine neue, umfassende Theorie der Gabe, deren Erklärungskraft auch für moderne Gesellschaften gültig ist. Dabei geht er nicht aus von den Dingen, die man verkauft oder die man gibt, sondern von denen, die man behält: vor allem von den heiligen Objekten. Indem er die Praktiken des Potlatch und des Kula, auf die Mauss sich gestützt hatte, neu analysiert, zeigt er, daß die Rätsel, mit denen Mauss konfrontiert war, sich auflösen lassen: Es ist durchaus möglich, Dinge zu geben und sie zugleich zu behalten. Gegeben wird das Nutzungsrecht, bewahrt wird das Eigentum. Freilich muß dann noch erklärt werden, warum man heilige Objekte nicht weggeben kann, und auch das tut Godelier auf eine luzide Weise. Am Ende bietet er nicht nur eine Erklärung des Phänomens der Gabe, sondern eine Gesellschaftstheorie. Jede Gesellschaft hat zwei Arten von Objekten: Die einen sind dem Austausch, dem Geben, dem Markt entzogen und bilden so den Fixpunkt, der erst ermöglicht, daß die anderen zirkulieren. Ohne ein solches Zentrum kann eine Gesellschaft nicht „funktionieren”. Aber sind die modernen Gesellschaften nicht gerade davon bedroht, daß sich der Markt aller Dinge bemächtigt? – Welche Funktionen die Gaben (und das nicht Weggebbare) in einer Gesellschaft haben, ist mithin eine Frage, die nicht nur den Ethnologen angeht, sie ist von großer Bedeutung für das intakte Fortbestehen unserer modernen Gesellschaft.