Produktbeschreibung
Rolf Kühn: Die Frage nach der therapeutischen Grunderfahrung. Ein lebensphänomenologischer Dialog mit Freud und Lacan
Die Frage, welche Phänomenologie der Psychoanalyse und Tiefenpsychologie entsprechen könnte, stellt sich in der französischen Diskussion seit Sartre, im vorliegenden Text wird sie besonders mit Bezug auf Lacan und Henry untersucht. Mit diesen beiden Autoren stoßen zwei radikale Positionen aufeinander: die der Signifikantenkette der Andersheit, die im Grunde keine Subjektivität mehr zulässt, und die eines rein phänomenologischen Lebens, das die Subjektivität über eine originäre Leiblichkeit gründet. Dazu werden Bezüge aus dem Freud‹schen Erbe aufgesucht, insofern Freud in Gestalt der Eigenphänomenalität von Affekt und Trieb gegenüber der Vorstellung bereits eine eigene Erscheinungsweise dieses Leiblichen kannte, das er mit dem Unbewussten korrelierte. Mit Blick auf die therapeutische Praxis wird ein Brückenschlag zwischen diesen Ansätzen unternommen und dargelegt, dass die therapeutische Grunderfahrung eine Einheit von Begehren und Sinn impliziert, in die auch Elemente der Daseins- und Existenzanalyse aufgenommen werden können, um dem Gesamtanliegen der Patienten in einer zunehmend heterogenen gesellschaftlichen Umwelt gerecht zu werden.
Udo Hock: Unbewusstes und Sein. Zum Verhältnis von Lebensphänomenologie und Psychoanalyse – Eine Antwort auf Rolf Kühn
Rolf Kühns Aufsatz 'Die Frage nach der therapeutischen Grunderfahrung' wird im ersten Teil dieses Kommentars in den erweiterten Kontext von Philosophie und Psychoanalyse gestellt: Daseinsanalyse und Kritische Theorie im deutschen Sprachraum, die Trias aus Strukturalismus, Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus in Frankreich werden als die wichtigsten philosophischen Strömungen bestimmt, die mit der Psychoanalyse in wechselseitigem Einflussverhältnis standen. Im zweiten Teil wird Kühns 'radikalisierte Lebensphänomenologie' auf ihre Kernbegriffe (Leiblichkeit, Affektabilität, Passibilität) befragt. Ihr Bezug auf Freud und Lacan wird nachgezeichnet. Im letzten Teil werden zentrale Positionen Kühns kritisch betrachtet und insbesondere mit den Auffassungen Lacans und Laplanches zum Unbewussten konfrontiert.
Jacques Press: Jenseits der Melancholie: Von ›Trauer und Melancholie‹ zu ›Die Angst vor dem Zusammenbruch‹
Der Autor gewinnt seine Überlegungen aus doppelter Quelle: seiner klinischen Erfahrung, in der sich Oszillationen zwischen melancholischen Bewegungen und Bewegungen des Zusammenbruchs finden; und einer theoretischen Sicht auf den Zusammenbruch als zentralen psychosomatischen Kreuzungspunkt. Er unterwirft 'Trauer und Melancholie' (Freud 1917e) und 'Die Angst vor dem Zusammenbruch' (Winnicott 1991 [1974]) einer vergleichenden Analyse und kommt zu der Hypothese, dass die Melancholie eine der hartnäckigsten Abwehrmaßnahmen gegen ein Erleben des Zusammenbruchs darstellt. Aus seiner Sicht ergibt sich daraus die klinische Konsequenz, dass es jeweils darum geht, von der melancholischen Abwehr zum ihr zugrundeliegenden Zusammenbruch zu gelangen.
Hanno Heymanns: Eine Winterreise: Zur psychoanalytischen Psychotherapie einer Hochbetagten zwischen Depression, physischer Gebrechlichkeit und beginnender Demenz
Anhand der Behandlung einer sehr alten Patientin, deren Darstellung um das Thema Trennungen und um das Übertragungs-Gegenübertragungs-Geschehen zentriert ist, wird die Psychodynamik zwischen körperlicher Gebrechlichkeit, beginnender Demenz und Depression herausgearbeitet und gleichzeitig damit die Verschränkung von Körper und Geist aus einem spezifisch psychoanalytischen Blickwinkel beleuchtet. Die Kasuistik illustriert,dass das lange vorherrschende Defizit- und Defektmodell – gerade auch des hohen Alters – inzwischen von einer dynamischeren Sichtweise abgelöst wurde. Sie belegt auch Bions Aussage, dass das beginnende Greisenalter ebenso mit emotionalen Turbulenzen einhergeht wie die Adoleszenz. Das von Freud eingeführte und von Bion weiter ausgearbeitete Konzept der Kontaktschranke erweist sich dabei als hilfreich, um die Umgestaltungen psychomentaler Funktionsweisen besser verständlich zu machen. In Umkehr der Perspektive wird auch reflektiert, wie das Alter psychische Funktionen des Analytikers beeinträchtigen und angreifen kann.
Johannes Brehm: Kann das Unbewusste im Körper sein? Zum analytischen Umgang mit protomentalisierten Zuständen – eine Kasuistik
In einem psychosomatischen Urzustand sind emotionale Erfahrungen noch nicht symbolisch repräsentiert, sondern werden als körperlich-seelische Erregungszustände wahrgenommen, die nur in resonanzfähigen Objektbeziehungen transformiert werden können. In dieser Arbeit werden die ersten eineinhalb Jahre der Analyse einer Patientin mit verschiedenen psychosomatischen Symptomen beschrieben, um Transformationsprozesse noch nicht repräsentierter psychosomatischer Erregungszustände darzustellen, die sich zunächst in der Übertragung aktualisieren und realisieren müssen. In der Vorstellung des klinischen Materials und in den ergänzenden Beiträgen 'Nach-denken' werden die hierfür erforderliche analytische Haltung und die gedanklichen Konzeptualisierungen verdeutlicht. In den Schlussfolgerungen werden einige zentrale Aspekte unseres erweiterten Wissens über die Bedeutung nicht repräsentierter Erregungszustände im frühen Austauschprozess zwischen dem Kind und seinen primären Objekten, wie sie sich im Hinblick auf die Behandlungstechnik darstellen, herausgearbeitet.
Johannes Döser: Die analgetische Potenz der psychoanalytischen Situation
Während von der Schmerzlichkeit des psychoanalytischen Prozesses häufig die Rede ist, findet die analgetische Wirkung der psychoanalytischen Situation bisher wenig Beachtung. Auf dem Boden der Metapsychologie und Ätiologie des seelischen und körperlichen Schmerzes wird anhand eines Behandlungsverlaufs herausgearbeitet, wie das traumatisierte Subjekt in seinem beschädigten Körper und seelischen Gekränktsein nach regenerativen Wegen sucht, an seiner prätraumatischen narzisstischen Intaktheit anzuknüpfen. Aufgrund ihrer phantasie- und traumstimulierenden Wirkung kommt der analytischen Situation eine bedeutsame psychoprothetische Funktion zu, welche destruktive Schmerzwirkungen eingrenzt und der Herausbildung chronischer Schmerzen entgegenwirkt. Erkenntnisse aus der Phantomschmerz- und Plazebo-Forschung können dem Psychoanalytiker bei der Behandlung persistierender Schmerzstörungen nützliche Orientierung geben.
Buchessay:
Uta Zeitzschel: Riccardo Lombardis ›Formless Infinity‹: Der Körper als Kompass
Riccardo Lombardis Buch Formless Infinity (2016) wird vorgestellt. Lombardi diskutiert das Konzept des Unbewussten, die Rolle des Körpers in der Analyse, die Reverie des Analytikers, Zeit und Tod. Er stellt klinische Fälle mit überwiegend psychotischen Patienten dar, die er mithilfe der Theorien Bions und Matte-Blancos konzeptualisiert. Anhand einer kurzen Fallvignette illustriert die Autorin eigene Gedanken zur Rolle des Körpers in der analytischen Behandlung.
Wolfgang-Loch-Vorlesung:
Joachim Küchenhoff / Rolf-Peter Warsitz: Von der Eigenständigkeit psychoanalytischer Erfahrung
Der Psychoanalyse ist oft entgegengehalten worden, sie sei zu wenig wissenschaftlich fundiert. Dieser Kritik treten wir entgegen, indem wir die Eigentümlichkeit und Eigenständigkeit psychoanalytischer Erfahrung als Basis ihrer Wissenschaftlichkeit aufzeigen. Wir entwerfen dazu eine 'dialektische Epistemologie der Psychoanalyse'. Zunächst (Teil 1) beschreiben wir die Sackgassen, die in der Kontroverse um den erkenntnistheoretischen Status der Psychoanalyse entstanden sind, und die es zu vermeiden gilt. Teil 2 konzentriert sich auf die philosophischen Grundlagen dieses dialektischen Konzepts. Wir argumentieren für einen erweiterten, in der Semiotik verankerten Sprachbegriff und dessen zentralen Stellenwert für die psychoanalytische Epistemologie. Wir zeigen, dass eine Anthropologie und eine Hermeneutik, auf denen die Psychoanalyse aufbauen kann, von der Grundlage einer mit dem Unbewussten verbundenen Negativität von Erfahrungen (Mangel, Leiden, Destruktivität) ausgehen müssen. Danach beschreiben wir die dialektische Epistemologie, indem wir einige zentrale Werkzeuge psychoanalytischer Erkenntnis vorstellen. Die Grundregeln werden durch die Konzepte von Reverie und Prosodie erweitert, die sich in eine psychoanalytische Lehre von den Zeichen (Semiotik) integrieren lassen (Teil 3). Zusammenfassende Bemerkungen (Teil 4) schließen den Text ab.