So reagiert die Praxis auf das neue StaRUG

Zum 1. Januar 2021 ist ein gesetzlicher Rahmen zur Sanierung von Unternehmen geschaffen worden. Welches Potenzial bietet das neue Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetz StaRUG? Wie reagieren Geschäftsleitungen und ihre Berater auf das Gesetz? Bei welchen Aspekten gibt es besonderen Auslegungsbedarf? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dominik Skauradszun und Dr. Alexander Fridgen. Die beiden sind Herausgeber eines StaRUG-Kommentars.

 

Was ist das Besondere am StaRUG? Warum kann es sich lohnen, in der Beratung auf dieses Verfahren zu setzen?

Dr. Alexander Fridgen: Das StaRUG bringt für Unternehmen ein niedrigschwelliges Angebot, indem es schon vor der Insolvenzreife bei bloß drohender Zahlungsunfähigkeit einen außergerichtlichen Rahmen für die Restrukturierung vorgibt. Die Sanierungsmoderation, die zweite der beiden mit dem StaRUG eingeführten Verfahrensarten, kann sogar bereits dann durchgeführt werden, wenn die Zahlungsunfähigkeit noch nicht einmal im rechtlichen Sinne droht, aber wirtschaftliche oder finanzielle Schwierigkeiten schon vorliegen.

Prof. Dr. Dominik Skauradszun: Das StaRUG ist ein sehr flexibles und innovatives Instrument. Der Schuldner kann den Kreis der betroffenen Parteien individuell und klein halten – ganz so, wie er es für die Restrukturierung benötigt. Es gibt schließlich Restrukturierungsfälle, in denen nicht alle Gläubiger einbezogen werden müssen, sondern bei denen es um eine Konzentration auf die Finanzierung oder die Lieferanten geht. Warum sollte der Schuldner ein Gesamtverfahren nutzen, wenn das StaRUG mehr Flexibilität ermöglicht? Ein Beispiel: Die Banken sollen zum Kreis gehören, die Versicherungen nicht. Das ist eine Art „cherry picking“. Diesen Freiraum bietet kein Insolvenzverfahren.

 

Was ist mit „Akkordstörern“?

Skauradszun: Wenn von den Gläubigern eine große Mehrheit hinter dem Konzept steht, ist es möglich, die Minderheit zu binden – zumindest dann, wenn sie nicht schlechter gestellt wird als im nächstbesten Alternativszenario.

 

Welche weiteren Potenziale sind hervorzuheben?

Fridgen: Durch einen vom Gericht eingesetzten „Restrukturierungsmoderator“ beziehungsweise „Sanierungsmoderator“ kann eine Person beteiligt werden, die als außenstehende Person glaubwürdig ist, mit ihrer Expertise die einvernehmlichen Sanierungsschritte begleitet und die nicht einseitig auf der Seite der Gläubiger oder auf der Seite des Schuldners steht. Nach § 101 StaRUG soll außerdem das Justizministerium auf seiner Internetseite eine Checkliste bereitstellen, die vor allem kleinen und mittleren Unternehmen helfen soll, Krisen frühzeitiger zu identifizieren, damit effektiver darauf reagiert werden kann.

Skauradszun: Alle Planbetroffenen haben darüber hinaus – zum Beispiel in einem Vorprüfungstermin – die Möglichkeit, sich selbst einzubringen und etwaige Probleme anzusprechen. Die erste veröffentlichte Entscheidung des AG Köln zeigt, wie die einzelnen Einwände lehrbuchmäßig vorgeprüft wurden.

 

Das StaRUG ist jetzt einige Monate alt. Ist es in der Praxis angekommen?

Skauradszun: Ja, denn ein Gesetz kommt schon dann in der Praxis an, wenn ein StaRUG-Verfahren als Option bei den Schuldnern und Beratern diskutiert und abgewogen wird. Die Geschäftsleitungen und ihre Berater befassen sich derzeit intensiv mit dem StaRUG. Ich sehe es nicht als kritisch, wenn es noch nicht viele Verfahren gibt, die in den Medien auftauchen. Denn dann läuft es genauso, wie der Gesetzgeber es gedacht hatte: sehr still, sehr dezent. Es handelt sich ja primär um vertrauliche Verfahren.

Fridgen: Dass es bisher ruhiger um das StaRUG geblieben ist als vom Justizministerium erhofft, hängt auch damit zusammen, dass es kaum eine Unternehmenskrise ohne internationale Beziehungen gibt. Die öffentlichen Restrukturierungssachen sind aber noch nicht mit der Europäischen Insolvenzverordnung verzahnt. Diese Verzahnung kann es erst ab Mitte Juli 2022 geben. Es bestehen verschiedene Unsicherheiten, inwieweit die Bestätigung des Restrukturierungsplans bei ausländischen Beteiligten anerkannt wird.

Skauradszun: Dass die deutschen Gerichte international zuständig sind, ist übrigens nicht in Stein gemeißelt. Auch ob die „Brüssel-Ia-Verordnung“ auf StaRUG-Verfahren anwendbar ist, ist zurzeit streitig. In unserem Kommentar beschäftigen wir uns daher natürlich mit der Frage, wie vor 2022 mit den internationalen Fällen umgegangen werden kann.

 

Wo besteht weiterer Auslegungsbedarf?

Skauradszun: Ehrlich gesagt: zu jeder Thematik. Alle unsere Autorinnen und Autoren waren überrascht, wie kompliziert jede einzelne Norm war. Immer wieder kommt man zudem auf das Schlechterstellungsverbot und die Vergleichsrechnung zurück, wie nun auch die erste zweitinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Dresden verdeutlich hat. In StaRUG-Verfahren können in der Vergleichsrechnung etliche Fortführungsszenarien durchzurechnen sein. Uns scheint insbesondere das Insolvenzplanverfahren ein starker „Gegner“ des Restrukturierungsplans zu sein. Würde ein Planbetroffener durch den Restrukturierungsplan schlechter gestellt als im nächstbesten Alternativszenario, kann er zu Recht intervenieren.

 

Was ist ein wichtiger praktischer Tipp, den jeder auf dem Schirm haben sollte, der sich intensiver mit dem StaRUG beschäftigen muss?

Fridgen: Wir müssen uns die Zeit gönnen, tief einzutauchen, um ein so umfangreiches Gesetz kennenzulernen und in seiner Komplexität zu erschließen.

 

Wo müsste der Gesetzgeber das StaRUG nachschärfen?

Skauradszun: Es könnte sein, dass der gesellschaftsrechtliche Unterbau durch die gestrichenen §§ 2, 3 StaRUG-RegE fehlt und dadurch die Kompetenzen in der wichtigen Vorbereitungsphase lange im Unklaren bleiben. Was verschiebt sich im Gesellschaftsrecht ab dem Moment der drohenden Zahlungsunfähigkeit? Das lässt sich nicht einfach beantworten, denn die Autoren, die hierzu veröffentlicht haben, kamen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen - hier haben wir im Kommentar versucht, die Meinungen zu kategorisieren und die Argumente zu bewerten.

Fridgen: Dadurch gibt es erneut Rechtsunsicherheit. Der Geschäftsführer, der sich mit der Frage beschäftigt, ob er in ein StaRUG-Verfahren gehen soll, weiß nicht, ob er die Gläubigerinteressen oder die Gesellschafterinteressen wahrnehmen muss. Er weiß es nicht, weil die zunächst geplanten Vorschriften ersatzlos gestrichen wurden. Hier muss zwingend nachgeschärft werden.

 

Was ist das Besondere an Ihrem neuen Kommentar?

Fridgen: Unser Autorenteam deckt die verschiedenen Disziplinen ab: Richter, Berater, Restrukturierungsbeauftragte und Wissenschaftler. Das gewährleistet eine unparteiische und glaubwürdige Kommentierung.

Skauradszun: Und rein praktisch: Wir haben bei der Durchsicht der Manuskripte sehr viele Querverweise in den einzelnen Kommentierungen angebracht, damit die Leser schnell zwischen den relevanten Stellen springen können.

Fridgen: Im Rahmen des BeckOK StaRUG (enthalten im beck-online-Modul Sanierungsrecht Plus, Anm. d. Red.) wird die Kommentierung alle drei Monate aktualisiert, was bei einem so neuen und umfangreichen Gesetz sehr wichtig ist.

 

Mehr zu den Herausgebern

Prof. Dr. Dominik Skauradszun 

Professor für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrens- und Wirtschaftsrecht, insb. Unternehmensrecht an der Hochschule Fulda, Privatdozent der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld, Visiting Professor der Law School der Nottingham Trent University sowie Of Counsel der Restrukturierungspraxis von Gleiss

Dr. Alexander Fridgen

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht und für Bank- und Kapitalmarktrecht.

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Skauradszun / Fridgen

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