Kaum etwas, das noch nicht über Goethes »Faust« geäußert wurde, dem deutschesten aller deutschen Stücke. Interpretationen füllen ganze Bibliotheken, Deutungen ernähren einen ganzen Berufszweig. Immer
wieder stellen sich Fragen, werden Antworten neu gegeben, die Geister streiten, die Bücher füllen sich. Der Stoff will ergründet werden. Sätze werden gewendet und gedeutet. Man geht historisch, biografisch,
psychoanalytisch, hermeneutisch vor, man arbeitet werkimmanent oder dekonstruiert ihn. Die Soziologen reden ein Wörtchen mit, die Naturwissenschaftler und die Mathematiker auch. Man findet theologische Interpretationen, Betrachtungen, die die Künste, andere, die die Mythen, die Gerichtsbarkeit einbeziehen.
All diese Ansätze liegen in schriftlicher Form vor - Wörter schieben sich vor Sätze, Buchstaben verdecken Sinn-, sodass sich eine andere Form der Rezeption anbietet: Eine kongeniale Interpretation in anderer Form als der der Verschriftlichung. Hatte nicht Goethe ein Konglomerat verschiedenster Darstellungsformen gewählt? Warum also nicht den Versuch unternehmen, dem Diskurs der Verschriftlichung zu entfliehen? Was hindert uns daran, sich dem »Faust« mit bildnerischen Mitteln zu nähern, einem Drama, das per se Bezüge zu anderen Darstellungsformen aufweist.
Ein Unternehmen, das, egal wie man dies wieder rezipiert, von außerordentlichem Reiz ist, da bei dieser Form der Interpretation nicht nur ein erläuternder Text, sondern ein gegenübergestelltes, zweites Kunstwerk entsteht. Wir haben hier kein begleitendes, bebilderndes Werk, wie es in den Künsten häufig der Fall ist, sondern ein interpretierendes.
Viktor Nono